Der Leitfaden für Familien mit ADHS
Die ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung) betrifft viele Familien weltweit und stellt sie vor besondere Herausforderungen.
Dieser umfassende Leitfaden bietet einen Einblick in die Grundlagen von ADHS, praktische Tipps für den Alltag sowie therapeutische Ansätze.
Er soll Familien dabei unterstützen, besser mit der Diagnose umzugehen und ein erfülltes Leben zu führen.
Wichtige Erkenntnisse
- ADHS ist eine komplexe neurologische Störung, die eine Vielzahl von Verhaltensweisen umfasst, darunter Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsprobleme.
- Die Diagnose und das Management von ADHS erfordern eine ganzheitliche Betrachtung, die sowohl medizinische als auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt.
- Eltern und Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle in der Unterstützung von Kindern mit ADHS, insbesondere durch Anpassungen im häuslichen und schulischen Umfeld. Round Tables, bei denen alle Bezugspersonen zusammenkommen und den Fokus auf das betroffene Kind legen, sind besonders zielführend und fördern ein gemeinsames Verständnis und abgestimmte Massnahmen.
- Therapeutische Ansätze sollten individuell angepasst werden und können Medikamente, Verhaltenstherapie, Coaching und Anpassungen in der Lebensführung umfassen.
- Es ist wichtig, die Stärken und Talente von Kindern mit ADHS zu erkennen und zu fördern, statt sich nur auf die Herausforderungen zu konzentrieren.
ADHS Grundlagen
Definition
ADHS, kurz für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, ist eine komplexe neurobiologische Erkrankung, die sich in der Regel bereits in der Kindheit manifestiert. Die genauen Ursachen von ADHS sind noch nicht vollständig erforscht, aber es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen, neurobiologischen und umweltbedingten Faktoren eine Rolle spielt.
Etwa 5-7% der Kinder und Jugendlichen weltweit sind betroffen.
Mögliche Auslöser von ADHS können sein:
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Genetische Veranlagung: Menschen mit ADHS haben oft Eltern, die ebenfalls an der Störung leiden.
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Neurobiologische Unterschiede: Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen mit ADHS bestimmte Bereiche des Gehirns, die für die Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Selbstregulation zuständig sind, anders funktionieren.
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Frühe Hirnschädigung oder Verletzung: Schädigungen im Gehirn, insbesondere in der Entwicklungsphase, können die Entstehung von ADHS begünstigen.
Gemäss ICD-11 ist die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung durch ein anhaltendes Muster (mindestens 6 Monate) von Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität-Impulsivität gekennzeichnet, das sich unmittelbar negativ auf die schulischen, beruflichen oder sozialen Leistungen auswirkt. Es gibt Anzeichen für signifikante Unaufmerksamkeits- und/oder Hyperaktivitäts-Impulsivitätssymptome vor dem 12. Lebensjahr, typischerweise in der frühen bis mittleren Kindheit, obwohl einige Personen erst später klinisch auffallen können.
Symptome
ADHS zeichnet sich durch Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität aus. Die Abklärung von ADHS ist entscheidend, da die Symptome oft mit anderen Bedingungen verwechselt werden können. Eine ADHS-Diagnose wird durch Fachkräfte im Rahmen einer Entwicklungsanamnese anhand von Interviews, Fragebögen und Beobachtungen sowie einer somatisch-neurologischen Untersuchung gestellt.
Einige häufige Anzeichen von ADHS bei Kindern sind:
- Häufiges Tagträumen
- Vergessen oder Verlieren von Dingen
- Schwierigkeiten, Anweisungen zu folgen
- Häufiges Wechseln von einer unvollendeten Aktivität zur nächsten
- Aufschieben von Aufgaben
- Starker Bewegungsdrang
ADHS beinhaltet sowohl Hyperaktivität als auch Unaufmerksamkeit, während ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung) wiederum hauptsächlich durch Unaufmerksamkeit gekennzeichnet ist.
Diagnostik
Wenn bei Kindern oder Jugendlichen Entwicklungs-, Lern-, Leistungs- oder Verhaltensprobleme sowie andere psychische Störungen vorliegen und Anzeichen für Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen oder erhöhte Unruhe und Impulsivität bestehen, sollte gemäss der S3-Richtlinie (2018) die Möglichkeit einer ADHS in Betracht gezogen und eine entsprechende Diagnostik durchgeführt werden.
Die Diagnose einer ADHS sollte von einem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, einem Psychologischen Psychotherapeuten mit Zusatzqualifikation für Kinder und Jugendliche oder einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Erfahrung und Fachwissen in der ADHS-Diagnostik durchgeführt werden.
Die S3-Leitlinie liefert eine detaillierte Übersicht der empfohlenen diagnostischen Massnahmen, die routinemäßig eingesetzt werden (S. 12).
Üblicherweise wird einer dieser 4 Fragebögen zur Symptomatikevaluation eingesetzt.
Schweregradeinteilung
Es treten wenige oder keine Symptome zusätzlich zu den Symptomen auf, die zur Diagnosestellung erforderlich sind und die Symptome führen zu nur geringfügigen Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen.
Quelle: S3-Leitlinie, S. 19
Die Ausprägung der Symptomatik und der funktionalen Beeinträchtigung liegt zwischen „leichtgradig“ und „schwergradig“, d.h., trotz einer nur geringen Symptomausprägung besteht eine deutliche funktionelle Beeinträchtigung durch die Symptomatik oder trotz derzeit nur geringfügigen Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen übersteigt die Ausprägung der Symptomatik deutlich das zur Diagnosestellung erforderliche Ausmass.
Quelle: S3-Leitlinie, S. 19
Die Anzahl der Symptome übersteigt deutlich die zur Diagnosestellung erforderliche Anzahl oder mehrere Symptome sind besonders stark ausgeprägt und die Symptome beeinträchtigen die soziale, schulische oder berufliche Funktionsfähigkeit in erheblichem Ausmass.
Quelle: S3-Leitlinie, S. 19
Alltag mit ADHS meistern
Das Leben mit einem Kind, das von ADHS betroffen ist, kann sich wie ein ständiges Jonglieren anfühlen, bei dem das richtige Maß an Struktur und Flexibilität immer wieder neu austariert werden muss. Für Eltern bedeutet dies eine tägliche Herausforderung, aber auch eine Chance, tiefe Verbindungen zu schaffen und das familiäre Zusammenleben nachhaltig zu stärken.
Im Umgang mit einem hyperaktiven Kind sind vorrangig drei Dinge entscheidend:
Struktur, Routine und viel Zuwendung
Bedeutung von Routinen
Eine der effektivsten Methoden, um Kindern mit ADHS ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, ist die Etablierung fester Routinen. Ein vorhersehbarer Tagesablauf hilft, Stress und Unsicherheiten zu minimieren. Von morgendlichen Abläufen bis hin zu festgelegten Bettzeiten — konsistente Routinen sind entscheidend.
So unterstützen Eltern ihr Kind dabei, sich auf den Tag einzustellen und die Übergänge zwischen verschiedenen Tätigkeiten besser zu bewältigen.
Klare und verständliche Kommunikation
Die Kommunikation sollte klar, direkt und so strukturiert sein, dass das Kind die Informationen leicht verarbeiten kann. Es hat sich als hilfreich erwiesen, Anweisungen durch visuelle Hilfsmittel wie Bilder oder Planungstafeln zu unterstützen.
Dadurch wird die Kommunikation nicht nur verstärkt, sondern auch anschaulicher gestaltet.
Wiederholungen und das Überprüfen des Verständnisses sind weitere wichtige Aspekte, um sicherzustellen, dass das Kind die erhaltenen Informationen auch umsetzen kann.
So kann z.B. das vorbereitete Essen für den nächsten Tag im Kühlschrank mit einem lieben Zettel versehen werden, so wie im nebenstehenden Beispiel.
Positive Verstärkung zur Motivation
Ein weiterer wichtiger Punkt im Umgang mit ADHS ist die Anwendung positiver Verstärkung. Indem Eltern das gewünschte Verhalten ihres Kindes anerkennen und belohnen, fördern sie nicht nur eine positive Entwicklung, sondern stärken auch das Selbstwertgefühl des Kindes.
Ein Lob oder eine kleine Belohnung kann einen grossen Unterschied darin machen, wie ein Kind seine täglichen Herausforderungen annimmt und bewältigt.
Regelmässige Pausen entlasten das Kind
Regelmäßige Pausen sind ein unverzichtbarer Teil des Tagesablaufs, um Überforderung zu vermeiden und die Konzentration des Kindes zu bewahren. Diese Momente der Ruhe bieten eine wertvolle Chance für das Kind, durchzuatmen, sich zu entspannen oder sich spielerisch zu bewegen.
Gerade für hyperaktive Kinder sind solche Zeiten zum Energieabbau und neu fokussieren wichtig. Achtsamkeitsübungen während dieser Pausen können zudem dabei helfen, die emotionale Ausgeglichenheit des Kindes zu fördern und es in seinen Gefühlswelten zu stärken.
Lehrkräfte und Ausbilder:innen sind wichtige Bezugspersonen
Lehrkräfte spielen eine zentrale Rolle im Leben von Kindern mit ADHS. Eine enge und herzliche Zusammenarbeit zwischen Eltern und Lehrpersonal ist fundamental, um den schulischen Weg dieser Kinder positiv zu gestalten. Durch regelmässigen Austausch und gemeinsames Besprechen von Fortschritten sowie Herausforderungen entsteht eine warme und fördernde Lernatmosphäre.
Wenn Lehrkräfte und Eltern gemeinsam an einem Strang ziehen und bedürfnisorientiert agieren, dann werden sie das Kind bestmöglich unterstützen. Dieses Teamwork ist der Schlüssel, um jedem Kind mit ADHS zu helfen, sein volles Potential in der Schule oder im Lehrbetrieb zu entfalten.
Natürlich kann es auch zu Spannungen in diesem System kommen, wenn unterschiedliche Erwartungen und Ansätze aufeinandertreffen. Solche Herausforderungen erfordern besonderes Fingerspitzengefühl und die Bereitschaft, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Jede weitere Runde lohnt sich, auch wenn es manchmal ausweglos scheint.
Beim Ausbildungsbetrieb libs zum Beispiel, erhalten Ausbilder:innen regelmässig ADHS-Coaching, um Jugendliche in dieser wichtigen Lebensphase optimal begleiten zu können.
“Chaos ist, wenn ADHS mit mir macht, was es will. Kontrolle ist, wenn ich mit ADHS mache, was ich will!"
Begleitung und Hilfe für Familien mit ADHS
Eltern als Coach
Die Beratung spielt eine zentrale Rolle im Rahmen der Diagnostik und Betreuung von Familien mit ADHS. Es ist wichtig, dass Eltern sich über die verschiedenen Unterstützungsmöglichkeiten informieren, die ihnen zur Verfügung stehen.
Eine Möglichkeit bietet das therapeutische Konzept der Psychoedukation. Dieses zielt darauf ab, Eltern umfassend über die Störung zu informieren und sie in die Lage zu versetzen, besser mit den Herausforderungen umzugehen.
Ziele der Psychoedukation sind hauptsächlich:
- Wissensvermittlung
- Strategien zur Verhaltensmodifikation
- Emotionale Entlastung der Eltern
- Förderung der Eltern-Kind-Beziehung
- Vernetzung und Ressourcenaufbau
Ein fundiertes Wissen über ADHS und die besonderen Bedürfnisse des Kindes geben Eltern wiederum auch mehr Sicherheit im alltäglichen Umgang.
Zweiwöchentliches Online-Elterncoaching (auch Elterntraining genannt) mit einem persönlichen ADHS-Coach unterstützt Familien auf diesem Weg.
Familien, die Interesse an weiteren Informationen oder Unterstützung durch qualifizierte ADHS-Coaches haben, können ein Kennenlerngespräch vereinbaren. Dies ermöglicht einen tieferen Einblick in individuelle Fördermöglichkeiten und bietet eine Plattform, um spezifische Fragen zur Unterstützung im Alltag zu klären.
Der erste Schritt zu einer gestärkten Elternrolle und einem harmonischeren Familienleben beginnt mit dem Kontakt zu Fachexpert:innen.
Selbsthilfegruppen in der Schweiz
In der Schweiz gibt es zahlreiche Selbsthilfegruppen, die speziell darauf ausgerichtet sind, Eltern von Kindern mit ADHS zu unterstützen. Diese Gruppen bieten nicht nur wertvolle Informationen und Ressourcen, sondern auch einen sicheren Raum, in dem Erfahrungen ausgetauscht und Verständnis für die eigene ganz individuelle Situation gefunden werden kann.
Der Austausch mit anderen Eltern kann ungemein entlastend wirken und dazu beitragen, das eigene Wohlbefinden zu steigern. Zudem bieten viele Gruppen regelmäßige Treffen mit Fachpersonen an, die wertvolle Tipps und Strategien im Umgang mit ADHS bereitstellen.
Organisationen, die sich der Unterstützung von Betroffenen von ADHS widmen, sind z.B. elpos und ADHS 20+.
Selbsthilfebücher wie 'Wackelpeter & Trotzkopf'
Für Eltern von Kindern mit ADHS bieten die Selbsthilfeansätze im Buch "Wackelpeter & Trotzkopf" praktische Werkzeuge und Strategien zur Bewältigung alltäglicher Herausforderungen. Das Buch fokussiert auf innovative, familienzentrierte Ansätze, die darauf abzielen, die Selbstregulierungsfähigkeiten von Kindern zu stärken und das familiäre Zusammenleben zu verbessern.
"Wackelpeter & Trotzkopf", mittlerweile in der 6. Auflage erschienen und über 80.000 Mal verkauft, ist das erste Selbsthilfebuch in diesem Bereich, dessen Wirksamkeit in wissenschaftlichen Studien belegt wurde. Die S3-Leitlinie hat dem Arbeitsbuch einen Wirksamkeitsnachweis von "Sehr gut" bescheinigt (S. 61).
Es bietet praxisnahe Anleitungen, die direkt im Familienalltag angewendet werden können. Es geht darum, sowohl Kindern als auch ihren Eltern zu helfen, effektive Strategien für den Umgang mit ADHS zu entwickeln. Durch die Förderung des Verständnisses und der direkten Anwendung von Selbstmanagement-Techniken können Familien lernen, die Herausforderungen von ADHS gemeinsam zu bewältigen und ein harmonischeres Zusammenleben zu fördern.
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Strukturierte Anleitung: Das Buch leitet Eltern durch einen systematischen Prozess, um spezifische Verhaltensprobleme zu identifizieren und zu adressieren. Es umfasst Schritte, wie das Einrichten einer konstruktiven Hausaufgabenroutine und den Umgang mit oppositionellem Verhalten.
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Praktische Werkzeuge: Zu den Hilfsmitteln gehören Arbeitsblätter und Memo-Karten, die Eltern bei der Durchführung von Maßnahmen zu Hause unterstützen. Diese Werkzeuge sind auch online verfügbar, was Eltern den Zugang und die Anwendung erleichtert.
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Interaktive Elemente: Neue interaktive Elemente wie Online-Materialien und Apps bieten dynamische Wege, um mit den Herausforderungen von ADHS umzugehen. Diese Plattformen bieten unter anderem visuelle und spielerische Elemente, die Kinder ansprechen.
Emotionale Stabilität und Verhaltensregulation
Kinder und Jugendliche mit ADHS stehen oft vor erheblichen Herausforderungen, wenn es um emotionale Stabilität und Verhaltensregulation geht. Diese Schwierigkeiten können zu Konflikten in der Familie, Problemen in der Schule und sozialen Isolationen führen. Die exekutiven Funktionen (Kognitive Flexibilität, Arbeitsgedächtnis und Inhibition) sind bei den von ADHS Betroffenen in ganz unterschiedlicher Ausprägung beeinträchtigt. Wir begegnen in unseren Coachings immer wieder Jugendlichen, die sich komplett verweigern und sich nur sehr langsam wieder öffnen.
Eltern spielen eine zentrale Rolle dabei, ihre Kinder zu unterstützen eben diese exekutiven Funktionen zu trainieren und ihnen zu helfen, zum Beispiel das emotionale Auf und Ab zu bewältigen.
Lassen Sie uns im Folgenden auf die Vorbildrolle der Eltern eingehen und die Themen Impulsivität, Selbstregulation und emotionale Schwankungen näher betrachten.
Rolle der Eltern als Vorbilder
Kinder lernen durch Beobachtung und Nachahmung. Daher ist es wichtig, dass Eltern gute Selbstregulationsfähigkeiten zeigen. Sie sollten ruhig und besonnen auf Stresssituationen reagieren und ein konsistentes sowie vorhersehbares Verhalten an den Tag legen. Zudem ist ein offener Dialog über Gefühle und Herausforderungen entscheidend, um das Verständnis und die emotionale Intelligenz der Kinder zu stärken. Es ist ebenfalls wichtig zu erkennen, dass es normal ist, wenn Eltern auch Schwächen zeigen. Sie sollten diese Momente nutzen, um ihre Gefühle klar zu kommunizieren, sodass Kinder lernen, Emotionen gesund einzuordnen und zu verarbeiten.
So wie wir Auto- oder Fahrradfahren lernen, können wir auch unser Verhalten lernen anzupassen und zu trainieren.
Nehmen wir eine typische Konfliktsituation: Ein Streit wegen nicht erledigter Hausaufgaben zeichnet sich ab, und die Spannung ist fast greifbar. Anstatt sich weiter in den Streit zu vertiefen, können Mütter und Väter beschliessen, innezuhalten. Zum Beispiel könnten sie stattdessen eine Atemübung machen. Für keine Aufgabe der Welt lohnt es sich, die Beziehung aufs Spiel zu setzen. Dieser Grundsatz verleiht Kraft und Weitsicht und motiviert die Familie, angepasste Strategien zu entwickeln. Die Möglichkeiten hierfür sind vielfältig.
Oftmals sind Eltern von Kindern mit ADHS selbst betroffen. Weltweit haben gemäss einer Meta-Studie aus dem Jahr 2021 6,76 % aller Erwachsenen eine symptomatische ADHS, was etwa 366,33 Millionen Menschen entspricht.
Für diese Eltern ist es noch mal wichtiger, das eigene Tun und Handeln regelmässig zu reflektieren, Unterstützung zu suchen und sich gut abzugrenzen.
Eltern-Coachings oder Online-Kurse wie der vom ADHS Family Podcast sind empfehlenswert, da Eltern dort Schritt für Schritt lernen, wie sie ihr Kind mit ADHS/ADS begleiten können, um Stress, Aggressionen und Nervenkriege in Alltag und Schule zu vermeiden.
Ja, mein Kind ist impulsiv
Emotionale Impulsivität ist ein häufiges Merkmal von ADHS. Kinder und Jugendliche reagieren oft stark und impulsiv auf emotionale Reize, was zu plötzlichen Wutausbrüchen, Traurigkeit oder Angst führen kann.
Diese Reaktionen können sowohl für das Kind als auch für die Familie sehr belastend sein.
Es gibt jedoch Ansätze, die helfen können, einen guten Umgang mit der Impulsivität zu finden. Hier ist eine Auswahl von 3 Möglichkeiten:
Gefühlsregulationstechniken vermitteln
Eltern können ihrem Kind helfen, Techniken zur Gefühlsregulation zu erlernen, wie tiefes Atmen, Achtsamkeitsübungen und progressive Muskelentspannung. Es kann hilfreich sein, diese Techniken gemeinsam zu üben und sie in den Alltag zu integrieren. Alle Methoden lassen sich individuell anpassen, um sicherzustellen, dass sich jedes Familienmitglied dabei wohl fühlt.
Das Gefühls-Tagebuch
Ein Tagebuch, in dem das Kind seine Gefühle und die auslösenden Situationen notiert, kann dabei helfen, emotionale Muster zu erkennen und besser zu verstehen. Eltern können ihr Kind ermutigen, regelmässig Einträge zu machen und gemeinsam darüber sprechen.
Professionelle Hilfe annehmen
Professionelle Unterstützung durch eine:n Therapeut:in kann in manchen Familien hilfreich sein. Verhaltenstherapie und kognitive Verhaltenstherapie (CBT) sind besonders effektiv, um Kindern zu helfen, ihre emotionalen Reaktionen zu verstehen und zu kontrollieren und alternative Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Förderung der Selbstregulationskompetenzen
Die Fähigkeit zur Selbststeuerung ist essenziell für Kinder mit ADHS, um langfristige soziale Beziehungen aufzubauen und schulische oder berufliche Erfolge zu erzielen und ein erfülltes Leben zu führen. Eine gute Selbststeuerung umfasst die Regulation von Emotionen, Kognitionen (Wahrnehmungen) und Verhaltensweisen.
Einige Strategien, die dabei helfen können:
- Ziele setzen:
Klare, erreichbare Ziele, sogenannte SMART-Ziele, helfen Kindern, sich zu fokussieren und motiviert zu bleiben. SMART steht für Spezifisch, Messbar, Akzeptiert, Realistisch und Terminiert. Solche Ziele sind genau definiert, messbar, bedeutsam, erreichbar und zeitlich begrenzt. Durch den Einsatz von hilfreichen Tools wie Apps, Checklisten und Planern für den Schreibtisch können Kinder lernen, ihre Aufgaben zu strukturieren und schrittweise zu bearbeiten.
Diese Tools bieten eine visuelle Unterstützung und Erinnerungen, die ihnen helfen, am Ball zu bleiben. -
Selbstreflexion fördern:
Es ist wichtig, dass Kinder lernen, ihr eigenes Verhalten zu beobachten, zu analysieren, einzuordnen und zu bewerten. Dies kann durch regelmässige Reflexionsgespräche unterstützt werden, bei denen Eltern und Kinder gemeinsam über vergangene Situationen sprechen und analysieren, was gut lief und was verbessert werden kann.
Tagebücher oder Reflexionskarten können dabei als Werkzeuge dienen, um Gedanken und Gefühle zu dokumentieren und daraus zu lernen. Es kann auch helfen dies anhand von aussenstehenden Personen zu üben. -
Belohnungssysteme einsetzen:
Positive Verstärkung kann helfen, gewünschtes Verhalten zu fördern. Durch Belohnungssysteme, bei denen Kinder für positive Verhaltensweisen Punkte oder kleine Belohnungen erhalten, können sie motiviert werden, ihre Selbstregulationsfähigkeiten zu verbessern. Diese Systeme sollten konsistent angewendet werden und unmittelbar auf das Verhalten folgen, um effektiv zu sein.
Umgang mit emotionalen Schwankungen
Kinder und Jugendliche mit ADHS erleben oft intensive emotionale Schwankungen, die von strahlender Freude über erschütternde Leere bis hin zu plötzlichen Wutausbrüchen und tiefer Traurigkeit reichen. Diese Schwankungen können sowohl das Kind als auch sein Umfeld stark belasten. Ein gezielter Umgang mit diesen emotionalen Herausforderungen ist daher von großer Bedeutung, um ein harmonisches Familienleben und eine positive Entwicklung des Kindes zu fördern.
Was es braucht, sind Verständnis und Geduld. Emotionale Schwankungen sind nicht absichtlich gegen jemanden gerichtet. Durch Annehmen, Geduld und Einfühlungsvermögen können Eltern ihrem Kind zeigen, dass es trotz seiner emotionalen Ausbrüche geliebt und unterstützt wird. Wenn das Kind anders handeln könnte, würde es dies tun.
Unterschiedliche Formen und deren Ursachen
Beschreibung: Kinder mit ADHS können plötzlich und heftig wütend werden. Diese Wutausbrüche entstehen oft scheinbar aus dem Nichts und sind für das familiäre Umfeld, Mitschüler:innen und Lehrkräfte schwer vorhersehbar.
Ursachen: Wutausbrüche und Frustration bei ADHS-Kindern resultieren häufig aus einer niedrigen Frustrationstoleranz oder aus der Maskierung. Die Kinder haben Schwierigkeiten, ihre Impulse zu kontrollieren und reagieren deshalb sehr schnell und intensiv auf kleinere Ärgernisse oder Misserfolge. Die Überforderung durch sensorische Reize oder komplexe Aufgaben kann diese Reaktionen zusätzlich verstärken. Unter "Maskierung" versteht man das Verbergen von ADHS-Symptomen, um soziale Normen zu erfüllen oder nicht aufzufallen, was emotional sehr belastend sein kann und bei Überlastung zu plötzlichen Wutausbrüchen führt.
Beschreibung: Neben Wut können auch plötzliche Phasen tiefer Traurigkeit und Rückzug auftreten. Kinder und Jugendliche wirken dann niedergeschlagen, ziehen sich zurück und möchten alleine sein.
Ursachen: Diese Form der emotionalen Schwankung kann durch soziale Zurückweisungen oder Misserfolge in der Schule ausgelöst werden, besonders wenn das Selbstwertgefühl von Kindern mit ADHS bereits beeinträchtigt ist. Diese Kinder fühlen sich schnell entmutigt, wenn sie das Gefühl haben, nicht den Erwartungen gerecht zu werden. Die ständige Anstrengung, sich zu konzentrieren und soziale Normen zu erfüllen, kann ebenfalls zu Erschöpfung und Rückzug führen.
Beschreibung: Kinder mit ADHS erleben manchmal auch extreme Phasen der Freude und Euphorie, die über das normale Maß hinausgehen. Diese Phasen sind oft kurz, aber sehr intensiv.
Ursachen: Diese übermäßige Freude kann durch plötzliche Erfolge oder positive Erlebnisse ausgelöst werden. Die Belohnungssysteme im Gehirn von ADHS-Betroffenen sind häufig dysreguliert, was zu extremeren emotionalen Reaktionen auch auf positive Reize führen kann. Solche Reaktionen können jedoch auch anstrengend sein, da sie oft zu einer starken Ablenkung, übermässigem Sprechen und Hyperaktivität führen.
Beschreibung: Kinder und Jugendliche mit ADHS können auch intensive Angst- und Panikreaktionen zeigen. Diese Ängste können spezifische Auslöser haben oder generell und unspezifisch sein.
Ursachen: Die erhöhte Sensibilität für Umweltreize und die Schwierigkeiten, diese Reize zu verarbeiten, können zu Angstreaktionen führen. Kinder mit ADHS haben oft Schwierigkeiten, Stress zu bewältigen, was zu Überwältigung und Panik führen kann. Die Angst, zu versagen oder sich nicht anpassen zu können, trägt ebenfalls zu diesen Gefühlen bei.
Ein Lösungsansatz: die Methode der Burggemeinschaft
Die Methode der Burggemeinschaft bietet eine strukturierte und einfühlsame Herangehensweise, um Kindern und Jugendlichen mit ADHS zu helfen, ihre Emotionen zu verstehen und besser zu regulieren.
Diese Methode basiert auf der Nutzung von sogenannten Charakterkarten, die spezifische Emotionen und Strategien zu deren Bewältigung darstellen.
Ziel: Die Methode zielt darauf ab, Kindern zu helfen, ihre Emotionen zu identifizieren, zu verstehen und konstruktiv zu managen. Dies geschieht durch visuelle und narrative Werkzeuge, die das emotionale Bewusstsein und die Selbstregulationsfähigkeiten fördern.
Charakterkarten: Diese Karten stellen verschiedene Emotionen als Charaktere dar, die in einer Burg leben. Jede Karte bietet eine Beschreibung der Emotion und konkrete Tipps, wie mit dieser umgegangen werden kann.
Die Karten können im Alltag flexibel eingesetzt werden, beispielsweise wenn ein Kind einen Wutausbruch hat oder sich frustriert fühlt. Eltern können gemeinsam mit ihren Kindern die Karten durchgehen, um die jeweilige Emotion zu besprechen und passende Bewältigungsstrategien auszuwählen.
Vorteile der Methode
- Visuelle Unterstützung: Die Charakterkarten bieten eine visuelle Hilfe, die Kindern hilft, ihre Emotionen besser zu verstehen und zu benennen.
- Narrative Struktur: Durch die Darstellung der Emotionen als Charaktere wird der Umgang mit Gefühlen spielerischer und zugänglicher.
- Praktische Tipps: Die Karten enthalten konkrete, umsetzbare Strategien, die Kindern helfen, ihre Emotionen in den Griff zu bekommen.
- Eltern-Kind-Interaktion: Die Methode fördert die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern und stärkt die emotionale Bindung.
Übergang ins Erwachsenenalter und Berufsleben
Wie gelingt ein guter Übergang?
ADHS verschwindet nicht beim Übergang ins Erwachsenendasein. Viele Erwachsene kämpfen weiterhin mit den Herausforderungen dieser Erkrankung, besonders im Berufsleben und Studium.
Während einige Betroffene es schaffen, ihre Symptome zu managen und erfolgreich zu sein, stehen andere vor erheblichen Hürden.
Was kommt nach der Schulpflicht? Sollte es aufs Gymnasium gehen oder ist eine Berufslehre die bessere Wahl? Es ist wichtig, dass Jugendliche zusammen mit ihren Eltern oder Erziehungsberechtigten frühzeitig beginnen, ihre Interessen und Stärken, aber auch ihre Schwächen zu erkunden, um diese entscheidende Frage zu beantworten. Es ist wichtig, frühzeitig damit zu beginnen.
Leider kommen Symptome der ADHS, die sich auch schon in der Kindheit zeigen, später im beruflichen Alltag noch stärker zum Tragen.
Typische Probleme umfassen unter anderem die Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation, Einhaltung von Terminen, in der Arbeit mit Teams und vor allem in der Konzentration und Ablenkbarkeit. Eine grosse Auswahl an Konzentrationsübungen finden sich hier im Blog des Twinkl Verlages.
Diese 10 Tipps können beim Schritt Richtung Berufslehre helfen:
1. Berufswahl mit Herz
Es ist entscheidend, dass Menschen mit ADHS in einem Bereich arbeiten, der ihre Leidenschaft weckt und ihren Interessen entspricht. Die Liebe zum Beruf ist ein mächtiger Motivator. Es ist oft besonders förderlich, in einem kleineren Unternehmen zu arbeiten, wo der/die Jugendliche mit einer überschaubaren Anzahl von Kolleg:innen eng zusammenarbeiten kann.
2. Proaktive Kommunikation mit dem Arbeitgeber vor Ausbildungsbeginn
Eine offene Aufklärung des Arbeitgebers, der Kolleg:innen und Vorgesetzten über ADHS und die damit verbundenen Herausforderungen fördert Verständnis und passende Unterstützungsmassnahmen.
3. Wert der Bezugspersonen
Eine enge Zusammenarbeit zwischen den Eltern und Lehrpersonen ist äusserst wertvoll und steigert die Erfolgschancen beruflicher Integration enorm. Förderlich ist auch ein fester Ansprechpartner ausserhalb der Familie, wie zum Beispiel ein Job Coach oder ein ADHS-Coach.
4. Verständnisvolle Führung
Eine von Empathie und Akzeptanz geprägte Beziehung zwischen ADHS-Betroffenen und ihren Vorgesetzten schafft ein unterstützendes Arbeitsumfeld. Allen sollte klar sein, dass es ohne Empathie nicht funktionieren kann.
5. Regelmässiges Feedback
Eine kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Arbeitsleistung hilft, den Arbeitsprozess zu optimieren und die Zufriedenheit zu erhöhen und gibt dem Jugendlichen ein sicheres Gefühl. Falls das Unternehmen noch keine Erfahrungen in der Arbeit mit ADHS-Betroffenen hat, kann dies mit den Vorgesetzten proaktiv besprochen werden.
6. Klare Regeln, klare Struktur
Einige wenige, aber klare und verbindliche Regeln sind notwendig, um Sicherheit und Struktur zu bieten.
7. Gestaltung des Arbeitsplatzes
Ein ruhiger, auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittener Arbeitsplatz fördert das Wohlbefinden des Jugendlichen.
8. Strukturierten Tagesablauf planen
Ein klarer und strukturierter Tagesablauf hilft, den Überblick zu behalten und Aufgaben effizienter zu erledigen. Hier können Elemente wie der genaue Anfahrtsweg zum Betrieb, die Zeiten und Kontaktpersonen gleich mitgeplant werden.
Wenn die Einnahme von Medikamenten erforderlich ist, sollte sichergestellt werden, dass die Medikation überwacht wird, falls die Jugendliche bislang nicht in der Lage ist, dies eigenständig zu handhaben.
9. Regelmässige Pausen
Kurze, regelmässige Pausen von Anfang an einplanen. Sie helfen, die Konzentration aufrechtzuerhalten und Überlastung zu vermeiden. Und darum geht es auch gerade zu Beginn dieses neuen Lebensabschnitts.
10. Nutzung von Hilfsmitteln
Jede:r Jugendliche hat heute sein Smartphone dabei. Apps zur Selbstorganisation können dabei unterstützen, Aufgaben zu priorisieren und Termine einzuhalten. Mit Push-Nachrichten oder Sound-Benachrichtigungen können die Jugendlichen selbständiger durch den Tag navigieren.
Berufswahl und Karrierewege
Für Eltern und Kind ist es wichtig, frühzeitig mit der Berufsorientierung zu beginnen, um Interessen und Stärken zu erkennen und in eine geeignete berufliche Richtung zu lenken. Eine frühzeitige Beschäftigung mit dem nächsten grossen Schritt sorgt zudem für Entlastung und weniger Stress.
Spezialisierte Berufsberater:innen und die kantonalen Berufsberatungsstellen mit ihren Berufsinformationszentren (BIZ) können dabei unterstützen, passende Berufsfelder und Ausbildungswege zu identifizieren. Ein stützendes Bewerbungs-Training kann darüber hinaus sehr stabilisierend wirken. Darüber hinaus gibt es auch die Möglichkeit sogenannter Brückenangebote, die speziell auf die berufliche Grundausbildung vorbereiten.
Handwerksberufe zum Beispiel bieten viele Vorteile für Jugendliche mit ADHS. Sie sind häufig mit Bewegung verbunden, meist körperlich anspruchsvoll und benötigen präzises Arbeiten, was Menschen mit Hyperfokus entgegenkommt.
👉🏽 In der Studie "Körperliche Aktivität als Therapieoption bei ADHS?" aus dem Jahr 2024 analysieren die beiden Autorinnen den aktuellen Forschungsstand bzgl. der Verbesserungen in kognitiven Funktionen, Aufmerksamkeitsleistungen, Impulsivität und Hyperaktivität nach körperlicher Aktivität.
Ein unterstützendes Umfeld ist für die Jugendlichen von zentraler Bedeutung. Es ermöglicht ihnen, ihre Fähigkeiten besser zu entfalten, die Herausforderungen zu meistern und hält sie motiviert.
Therapeutische Ansätze und Behandlung
ADHS ist eine Entwicklungsstörung, die sich oft schon in der Kindheit zeigt und verschiedene Lebensbereiche beeinflussen kann. Kinder mit ADHS haben ein erhöhtes Risiko für schulische Schwierigkeiten und können auch im Erwachsenenalter noch mit Herausforderungen konfrontiert sein.
Die Symptome können sich über die Jahre verändern und bis ins Erwachsenenalter anhalten. Bei etwa 60% der Betroffenen bleiben die Symptome nach der Pubertät in voller oder abgeschwächter Form bestehen.
Diese kontinuierliche Herausforderung kann zu langfristigen psychosozialen Risiken führen. Junge Erwachsene mit ADHS stehen vor besonderen Schwierigkeiten in der Schule, am Arbeitsplatz und in zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie neigen dazu, riskantere Entscheidungen zu treffen, was sich unter anderem auch im Strassenverkehr bemerkbar macht.
Darüber hinaus erleben sie häufiger Beziehungsprobleme und sind allgemein unzufriedener mit ihrer Lebenssituation. Auch die Regulation von Emotionen kann für Erwachsene mit ADHS eine Herausforderung sein, was oft zu abrupten Gefühlsausbrüchen führt.
Multimodaler Behandlungsansatz
Die multimodale Behandlung von ADHS umfasst eine Kombination verschiedener Therapieansätze und stützt sich zunächst auf die umfassende Aufklärung und Beratung der Eltern sowie der Hauptbezugspersonen. Dies wird als Psychoedukation bezeichnet und beinhaltet Informationen über Ursachen, Symptome, den möglichen Verlauf der Störung und die Behandlungsoptionen.
Das Kind wird in einer für sein Alter passenden Weise einbezogen und lernt, seine Symptome zu verstehen und Strategien zur Selbstkontrolle zu entwickeln.
Die Beratung für Eltern bietet zudem pädagogische Tipps für den Umgang mit spezifischen Herausforderungen im Alltag, wobei die individuellen familiären Verhältnisse berücksichtigt werden. Lehrkräfte werden ebenfalls informiert und beraten, immer mit Zustimmung der Eltern und besonders dann, wenn in der Schule behandlungsbedürftige Symptome auftreten.
Das multimodale Behandlungskonzept umfasst hauptsächlich:
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Elterntraining/-Coaching und familienbasierte Interventionen
Diese zielen darauf ab, hyperaktives und aggressives Verhalten in der häuslichen Umgebung zu reduzieren. -
Interventionen in der Schule oder im Betrieb
Hier liegt der Fokus auf der Reduzierung von Hyperaktivität und Aggressivität in diesen Bildungseinrichtungen. -
Verhaltenstherapie für Kinder und Jugendliche
Angepasst an das Alter, ab dem Schulalter, um impulsive und unstrukturierte Verhaltensweisen zu minimieren. Dies schließt Selbstinstruktions- und Selbstmanagement-Techniken ein. -
Medikamentöse Therapie
Zur Linderung der typischen ADHS-Symptome, die in der Schule, der Familie oder anderen Umgebungen auftreten können.
Die Anwendung dieser Therapieansätze richtet sich stets nach dem Alter des Kindes, den beobachteten Verhaltensauffälligkeiten und deren Ausprägung in verschiedenen Lebensbereichen.
Während der Therapie ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt/Ärztin regelmäßig verschiedene Aspekte überprüft, um den Fortschritt der Behandlung zu bewerten und die Therapie bei Bedarf anzupassen. Zu diesen Aspekten gehören:
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Veränderungen in den Kernsymptomen wie Aufmerksamkeitsstörungen, Impulsivität und Hyperaktivität;
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schulische Leistungen und das Verhalten in der Schule;
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emotionale Entwicklung des Kindes;
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Qualität der Beziehungen zu Gleichaltrigen;
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Beziehungen innerhalb der Familie;
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ordnungsgemäße Einnahme der Medikamente.
Diese regelmässige Bewertung ermöglicht eine gezielte und wirksame Behandlung, um sicherzustellen, dass das Kind die bestmögliche Unterstützung erhält.
In der S3-Leitlinie (2018) findet sich ab S. 136 eine detaillierte Liste deutschsprachiger Präventions- und Therapieprogrammeprogramme zur Behandlung von ADHS-Symptomatik bei Kindern und Jugendlichen.
(Hinweis: Die Leitlinie befindet sich derzeit in Überarbeitung und soll bis zum 09.01.2026 fertiggestellt sein.)
Fachliteratur-Empfehlungen
Attention-Deficit Hyperactivity Disorder – A Handbook for Diagnosis and Treatment (4th)
Russell A. Barkley, Phd2014, The Guilford Press
KIDS 1 – Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
Manfred Döpfner, Gerd Lehmkuhl, Hans-Christoph Steinhausen2006, Hogrefe-Verlag
Fazit
ADHS ist eine komplexe Erkrankung, die nicht nur den betroffenen Menschen, sondern die gesamte Familie und das soziale Umfeld beeinflusst.
Unser umfassende Leitfaden bietet Familien Informationen, Einblicke und praktische Ratschläge, um den Alltag mit ADHS zu meistern und die Lebensqualität aller Beteiligten zu verbessern.
Es ist wichtig, dass Familien sich informieren, Unterstützung suchen und offen für neue Therapieansätze sind.
Indem wir die Stärken von Menschen mit ADHS erkennen und fördern, können wir dazu beitragen, dass sie ein erfülltes Leben führen.
Dieser Leitfaden bietet einen ersten Überblick für Familien und wir arbeiten stetig daran, diesen weiterzuentwickeln.
In diesem Sinne senden wir herzliche Grüsse in die Welt.💜